Alleingeburt beim 1. Kind aus Sicht eines Landwirtes

Geburt im Schweinestall

Im Schweinestall ferkeln in der Regel fast alle Sauen gleichzeitig. Die Geburtshormone der Gebärenden stecken die anderen förmlich an. Jeder, der auch nur ein Praktikum im Sauenstall macht weiß ganz genau wie er sich zu verhalten hat: Absolute Ruhe ist angesagt, nicht nur überflüssige Worte, sondern auch hektische Bewegungen sind zu unterlassen. Das Licht sollte je nach Tageszeit möglichst aus oder so gut es geht gedimmt sein. Hin und wieder wird ein vorsichtiger Kontrollgang durch den Stall gemacht, am besten von einem Menschen, den die Sauen kennen, damit sie ruhig bleiben und entspannt weiter gebären können. Hierbei werden die Ferkel gezählt und auf gesundheitlichen Zustand gesichtet und die Sauen beobachtet. Manchmal hat ein Ferkel noch ein Stück Fruchtblase über dem Gesicht, die muss dann schnell entfernt werden, damit es nicht erstickt. Manchmal ist die Plazenta noch durch die Nabelschnur mit dem Ferkel verbunden, dann muss diese durchtrennt werden, was leicht mit den Händen geht, denn sonst kann das Ferkel schwer von der Stelle kommen und das könnte Probleme nach sich ziehen. Selten kommt es vor, dass ein Ferkel in der Gebärmutter quer vor dem Geburtskanal liegt, das ist am Verhalten der Sau zu vermuten: Sie presst und presst und es passiert nichts, wenn eine bestimmte Zeit kein neues Ferkel kommt ist es ein Hinweis, dass etwas nicht stimmt. Dann wird eine innere Wendung vorgenommen und die Geburt kann weiter gehen. Oft hat dieses quer liegende Ferkel gesundheitliche Probleme oder ist bereits länger verstorben. Wenn alle Ferkel geboren sind, was man daran erkennt, dass die Sau nicht mehr am „arbeiten“ ist und eine gewöhnliche Anzahl an Ferkeln bereits geboren ist, wird überprüft, ob die Nachgeburt da ist. Wenn sie nach 4 Stunden noch nicht da ist, wird vom Landwirt Oxytocin gespritzt. Das kommt nur in Ausnahmefällen vor.
All diese Aspekte kamen mir schon immer sehr normal vor für Tiergeburten. Auch bei Kühen und Schafen, sind diese Aspekte wichtig, um Komplikationen zu vermeiden.

Zurückhaltende Geburtshilfe in der Tierwirtschaft

Bei Schweinen wird eigentlich nie ein Kaiserschnitt gemacht, bei Schafen in absoluten Ausnahmefällen und bei Hochleistungsmilchkühen etwa in 1-2% der Geburten. Ich habe mal eine Zeit lang bei einem Milchviehlandwirt gearbeitet, der sehr zurückhaltende Geburtshilfe geleistet hat: Wenn er wusste, dass eine Kuh bald gebären würde, hat er am Schwanzansatz gefühlt, ob bereits die Bänder weich werden. Bei Frauen ist es wohl genauso, alles was zum Gebären weich sein soll wird zur Geburt hin von Natur aus butterweich. Vorher ist der Körper und auch das Baby nicht bereit für diese Aufgabe. Wenn dieser Landwirt fühlen konnte, dass die Kuh heute gebären würde, hat er sie trotzdem mit den anderen Kühen auf die Weide gebracht. Er hat dann hin und wieder geguckt, wie sich die Kuh verhielt. Wenn sie sich absonderte von der Herde wusste er, dass er in einer Stunde etwa wieder gucken kommen muss. Oft war dann das Kalb schon da. Er hat so gut es ging alle Kühe allein gebären lassen.

Scheinbare Diskrepanz zwischen Wissen und Tun in der humanen Geburtshilfe

Von dem Zeitpunkt an, zu dem meine Frau das Buch „Alleingeburt“ von Sarah Schmid gelesen hat und dann alles was sie an weiterführendem Informationsmaterial finden konnte folgte, berichtete sie mir jeden Tag am Essenstisch von ihren neuen Erkenntnissen.
Jedes Mal war ich sehr verwundert, warum das was sie herausgefunden hat einer Art „Geheiminformation“ zu gleichen scheint, wo es doch so offensichtlich und leicht zu beobachten ist, dass Geburt so am besten funktioniert. All ihre Erkenntnisse hatte ich bereits bei Tiergeburten beobachtet. Es war also mit Sicherheit KEIN Geheimnis. Und doch scheint in der Krankenhausgeburtshilfe selten irgendeine dieser Präventionsmaßnahmen angewendet zu werden. Meiner Meinung nach sollte jeder Geburtshelfer einmal Praktikum bei einem Tierhalter machen (wobei es da auch solche und solche gibt), um zu erfahren, dass Geburt ein natürlicher Vorgang ist für den der weibliche Körper gemacht ist.

Vorbereitung auf die Alleingeburt

Auf die Geburt unseres ersten Kindes hatte meine Frau sich etwa 1,5 Jahre theoretisch und mental so intensiv vorbereitet wie es wohl neben Arbeit und Studium möglich ist. Insbesondere in den letzten Monaten der Schwangerschaft bekam ich ausdrückliche Unterweisungen was in den Fällen xyz zu tun und zu unterlassen wäre. Auch worauf ich bei einer Verlegung ins Krankenhaus achten müsste und was ich zu tun und zu regeln hätte, falls es trotz allem zu einem Kaiserschnitt kommen würde. Sie hat mich die ganze Zeit ihrer Recherchen täglich informiert was sie Neues herausgefunden hatte und hat in sich eine solche mentale Stärke und Sicherheit aufgebaut, dass ich das Gefühl hatte mich auf sie verlassen zu können. Sie würde mir sagen, wenn irgendetwas komisch wäre, wenn sich etwas falsch anfühlt, wenn sie das Gefühl hätte, dass irgendetwas mit unserem Baby ist. Ich bekam so genaue Anweisungen, was ich wann zu tun hätte bzw dass ich auf ihre Bedürfnisse achten und ihren Anweisungen zu folgen hätte, dass ich mir auch in meiner Aufgabe sicher war. Ich sah mich nicht nur als Partner für die emotionale Unterstützung, sondern auch als Dienstleister: wenn sie Wasser haben wollte, hab ich Wasser gebracht, wenn das Fenster auf sollte, hab ich das Fenster aufgemacht, wenn ich irgendwo drücken sollte, hab ich gedrückt. Sie hat mir sehr viele wichtige Aspekte beigebracht und in gewisser Weise vorgeschrieben, die oft nicht beachtet werden in der heutigen Geburtswelt: Ich als Mann und Geburtsbegleiter bin nicht wichtig. Meine Ängste, Zweifel oder Bedenken haben in dieser Geburt nichts zu suchen. Ich muss es aushalten, dass ihre weibliche Kraft so überwältigend und unbegrenzt zum Vorschein kommt. Auch wenn sie vielleicht Schmerzen äußern sollte, ist es nicht meine Position „mit zu leiden“, also Mitleid zu haben, sondern einfach weiterhin meine Position als Raumhalter und Dienstleister zu halten. Mitleid zieht die Gebärende runter und raubt ihr die Kraft. Spätestens zur Geburt ist der Zeitpunkt gekommen, emotional bei sich zu bleiben und aus der Empathie kein (Mit-)leid werden zu lassen.

Begleiter haben bei der Geburt eine Schlüsselrolle

Bei der Geburt war es dann für mich einfach meine Rollen zu erfüllen, da ich nur darauf achten musste, was sie brauchte. Da wir niemandem davon erzählt hatten, dass wir eine Alleingeburt planten, hatte ich in der Nacht auch wie so oft Bereitschaftsdienst für die Biogasanlage. In den frühen Morgenstunden klingelte mein Telefon für eine kleine Störung. Da Beeke sehr mit sich beschäftigt war, fragte ich kurz, ob es für sie ok wäre, wenn ich kurz rausginge. Sie sagte etwas wie „ist mir doch egal“ und ich bin daraufhin raus gegangen und war etwa 5-10 Minuten nicht im Geburtsraum. Erst etwa 2 Jahre später sprach sie mit mir darüber, dass sie sich in der Situation allein gelassen gefühlt hatte. Eine Gebärende will von Natur aus Harmonie mit ihrem Umfeld. Im Zweifel würde sie also auch zu etwas zustimmen, wenn sie es nicht will, nur um den Frieden zu wahren. Biologisch ist die Gebärende und frische Wöchnerin mit ihrem Baby darauf angewiesen von allen umsorgt und aufgenommen zu werden. Es gibt keine verletzlichere Zeit im Leben einer Frau als die Wochen, Tage und Stunden um die Geburt ihres Kindes.

Die Alleingeburt unserer Tochter

Ich konnte im Verlauf der Geburt an ihrem Verhalten sehen und hören, wie sich ihr Zustand veränderte, wie sie in den Geburtsphasen voranschritt. Ich würde sagen, dass die späte Eröffnungsphase die Zeit war, wo sie am meisten gejammert und geschimpft hat. Sie ist auch einmal wenige Stunden vor der Geburt unserer Tochter wütend umher gesprungen, weil sie wollte, dass es vorangeht. Eine Position die ihr sehr geholfen hat war das abstützen im Türrahmen (aus Meisterin der Geburt von Jobina Schenk). Da die meisten Türrahmen bei uns mit einem Meter zu breit waren für diesen Zweck, lief sie den Großteil der Geburt immer zwischen Schlafzimmer und Badezimmer hin und her, da der Badezimmertürrahmen der einzig passende war.
Als dann die Austrittsphase kam, schlief sie nochmal 10 Minuten im Vierfüßler mit dem Oberkörper auf einem Polsterstuhl abgelegt. Das was folgte war dann pure Kraft und Weiblichkeit.
Da wir beide ein glatzköpfiges Baby erwartet hatten fragte Beeke mich, als man die ersten blutverschmierten schwarzen Haare auf zusammengeschobener Kopfhaut sehen konnte, was das ist. Ich leuchtete mit der Taschenlampe und sagte unüberlegt „ich finde nicht, dass das aussieht wie ein Körperteil“. Das machte ihr Angst und dann presste sie das erste und einzige Mal in der Geburt bei der nächsten Kontraktion und der Kopf unserer Tochter war geboren. Mit der nächsten, unbeeinflussten Kontraktion kam dann der ganze Körper hinterher und sie berührte nicht einmal den Boden, sondern wurde direkt von Beeke auf ihre Brust gehoben.

Die beste Entscheidung für uns

Es war der magischste Moment, den ich mir vorstellen kann. Ich bin auch heute noch sehr froh und glücklich darüber, dass da niemand war, der uns in dieser Situation stören konnte mit Händen oder auch nur Worten. Die beiden kuschelten sich zusammen ins Bett und schliefen erst einmal etwa eine Stunde. Danach gebar sie die Plazenta in eine Salatschüssel. Ich war sehr überrascht, dass eine Menschenplazenta so groß ist, obwohl diese wohl eine durchschnittliche Größe hatte. Dann ging meine Frau duschen und ich konnte das erste Mal nach der langen Zeit der Schwangerschaft, Geburt und der ersten Kuschelzeit unser Baby an mir spüren. Ich würde es immer wieder so machen.
Als Beeke vom duschen wiederkam wollte sie eine Schere aus der Küche holen, hat sie in ihrer Geburtsblase aber nicht gefunden und schnitt dann die Nabelschnur mit einem Gemüsemesser durch. Sie hatte sich vorher offen gehalten eine Lotusgeburt zu machen, fand die Baby-Nabelschnur-Schüssel-Konstruktion aber sehr unpraktisch.

Diese Geburt war für mich eine sehr große Lehre für Vertrauen, Ruhe und Geduld.
Und es gibt keine Gelegenheit stärker mit der weiblichen Kraft und der Polarität zwischen Mann und Frau in Berührung zu kommen.

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Beeke Kruse

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